#1 Gesundheit ist nicht die Abwesenheit von Krankheit

Shownotes

Der Medizinsoziologe Aaron Antonovsky begründete im 20. Jahrhundert die sogenannte Salutogenese, die sich mit der Frage befasst: Wie entsteht Gesundheit? In diesem Zusammenhang möchte ich dir auch das "Wesen von Krankheiten" in diesem Blog näherbringen.

 

Heute ist der 9. April 2020 und die Welt steht gerade still – wegen Covid 19. Hierbei handelt es sich um einen Virus, der bei vielen Menschen wenigsten ein Unbehagen bis hin zu großer Angst auszulösen scheint. Vielleicht können hier die beiden Perspektiven „Salutogenese“ und das „Wesen von Krankheiten“ bereits weiterhelfen.

 

Wie wir wissen, kann dieser Virus insbesondere für ältere Menschen eine Gefahr darstellen, ebenso für Menschen, die bereits Vorerkrankungen haben und somit ein geschwächtes Immunsystem und das trifft leider heutzutage auf viele ältere Menschen zu.

 

Dennoch können wir auch feststellen, dass sich nicht automatisch jeder vorerkrankte ältere Mensch infiziert oder wenn er sich infiziert, dann auch nicht zwangsläufig schwere Symptome bekommen muss. Ob nun bei Covid 19, einer Grippe oder einfachen Erkältung - wieso trifft es die einen und die anderen nicht?

Weil Krankheitserreger immer ein bestimmtes Milieu brauchen, um sich zu entfalten. Und das ist die erste Erkenntnis, die ich heute mit dir zum Wesen von Krankheiten teilen möchte.

 

"Der Erreger ist alles, das Milieu ist nichts"

Diese Erkenntnis verdanken wir u.a. Claude Bernard und Pierre Jacques Antonie Béchamp, die im 19. Jahrhundert erkannten: „Der Erreger ist nichts, das Millieu ist alles.“ Sie widerlegten damit Louis Pasteur, der alles dem Erreger zuschrieb. Damit ist auch klar, weshalb es eben nicht jeden erwischt, es braucht einen guten Nährboden für Krankheitserreger. Dazu zählen natürlich Stress, eine ungesunde Ernährungsweise, Rauchen, Alkoholkonsum, Schlafmangel und Vorerkrankungen aller Art, die ja aus den eben genannten ungünstigen Lebensweisen selbst erst entstanden sind.

 

Du wirst also nicht automatisch krank, weil dich ein Virus anspringt, du wirst wahrscheinlicher krank, wenn dein gesamter Organismus geschwächt ist und du dadurch anfälliger für Infektionen und andere Krankheiten wirst.

ABER - selbst dann muss es dich nicht zwangsläufig treffen. Die Sache ist also komplex und nicht kausal zu erklären, also nach der Gleichung:  wenn Erreger und geschwächtes Immunsystem zusammentreffen, dann wird jemand krank.

 

Alles psychosomatisch?

Somit kommen wir zur zweiten Erkenntnis zum Wesen von Krankheiten – sie haben immer etwas mit dem Erkrankten selbst zu tun:

Du kennst sicherlich Menschen, vielleicht gehörst du selbst dazu, die Krankheitsbilder oder Symptome haben, die sich kein Mediziner erklären kann, zum Beispiel Magenschmerzen. Da wird dann eine Magenspiegelung gemacht, abgetastet, doch es gibt keinen Befund. Dann wird die Ernährung umgestellt oder Medikamente verabreicht, doch es führt zu keiner Besserung. Schlussendlich bekommen Patienten die unbefriedigende Diagnose: Das ist psychosomatisch.

Ja natürlich, das ist immer so, das Wesen von Krankheiten ist, dass sie immer psychosomatisch sind, ob nun ein konkreter Befund da ist oder nicht. Womit wir die dritte Erkenntnis zum Wesen von Krankheiten identifiziert haben.

 

Du kennst bestimmt den Spruch "Ein gesunder Geist lebt in einem gesunden Körper" - und das gilt auch anders herum. Bevor sich zum Beispiel Magenschmerzen bemerkbar machen, wird eine Phase oder bestimmte Situation im Leben desjenigen vorangegangen sein, die ihm auf den Magen geschlagen ist. Wenn sich das Thema nicht klären konnte, musste es sich im Körper bemerkbar machen, und zwar mit Schmerzen. Jetzt muss derjenige handeln, denn körperliche Schmerzen sind schlecht zu ignorieren, wohingegen seelische Schmerzen leicht verdrängt werden können, da reichen schon zwei Glas Rotwein. 

 

Auch eine negative Grundeinstellung dem Leben gegenüber, viele Sorgen über die Zukunft oder eine gefühlte Sinn- oder Lustlosigkeit, die sich allmählich im Job breit gemacht hat, ebenso Emotionen von Angst, Wut oder Trauer tragen zur Entstehung von Krankheiten bei – selbst wenn wir nicht rauchen und keinen Alkohol trinken.

 

Gesundheit ist demzufolge immer ganzheitlich zu betrachten, und zwar auf allen Ebenen physisch wie psychisch. Für den Heilungsprozess ist es daher zu kurz gegriffen, ein gesundheitliches Problem nur im Körper zu verorten. Also die Lösung für das Magenproblem nur im Magen zu suchen und mit Medikamenten Abhilfe zu verschaffen. Es ist immer der gesamte Mensch erkrankt, nicht nur ein Organ oder eine bestimmte Körperregion. Wirkliche Heilung bezieht daher immer alle Ebenen, also den gesamten Körper und natürlich auch die psychisch-seelische Dimensionen mit ein.  

 

Die Pathogenese - oder: Wie entsteht Krankheit?

Die Schulmedizin legt den Fokus traditionell auf die sogenannte Pathogenese, die sich mit der Frage beschäftigt: wie entsteht Krankheit? Zum Beispiel durch einen Virus oder Schlafmangel oder falsche Ernährung. Krankheit ist aus dieser Sicht etwas, das nicht der Norm entspricht und auch keinen Nutzen stiftet. Erreger, Tumore oder Depressionen müssen aus der Perspektive der Pathogenese mit oftmals drastischen Mitteln bekämpft werden und es kann potenziell jeden immer und überall treffen.

 

Salutogenese - eine integrale Sichtweise

Eine integrale Sichtweise bietet hingegen die Salutogenese, die sich die Frage stellt, was ist Gesundheit und was braucht ein Lebewesen für ein gesundes Leben? Das ist etwas anderes, als Krankheiten zu vermeiden oder sich so lange nicht um sich zu kümmern, bis man krank wird und dann nur diese Krankheit oder das damit verbundene unangenehme Symptom gezielt zu bekämpfen.

 

Bei der Salutogenese braucht es ein Verständnis dafür, dass jeder Organismus von sich aus ständig darum bemüht ist, Gesundheit herzustellen. Krankheit wird dabei nicht ausgegrenzt, so als hätte das Immunsystem versagt. Man ist nun krank und braucht Medikamente, die einen wieder in den gewünschten Zustand befördern, damit man schnell wieder für den Alltag funktioniert.

Wenn wir krank werden, dann macht der Körper im Sinne der Salutogenese seinen Job. Er bringt den gesamten Organismus wieder in Balance oder in Kohärenz. Wir sind dann gezwungen für uns zu sorgen, indem wir viel schlafen und uns zurückziehen von Verpflichtungen. Erst in diesen Zeiten kann der Körper dann nötige Reparaturmaßnahmen vollbringen, die wahre Wunder bewirken können.

Das ist also die vierte Erkenntnis zum Wesen von Krankheiten: Krankheiten bringen uns in Balance, sie sind als Teil der Erhaltung von Gesundheit zu betrachten und nicht als Ausnahmezustand, den es schnellstmöglich zu beenden gilt. Schmerzen oder Infektionen sind demnach Informationsgeber darüber, dass etwas im Leben nicht in Balance ist – z.B. in der Partnerschaft, im Job, im Lebensstil allgemein. Im besten Fall erkennt der Erkrankte, dass er in Zukunft auch im Alltag gut für sich sorgen sollte, damit es erst gar nicht zur Zwangspause kommen braucht.

Das bedeutet natürlich nicht, dass wir akute Schmerzen aushalten müssen oder offene Wunden sich selbst überlassen sollten. Salutogenese und Pathogenese sind in einer integralen Betrachtung von Gesundheit keine Gegensätze. Sie ergänzen sich. In dieser Sichtweise geht es also darum, eine Krankheit nicht automatisch als nicht haltbaren oder von der Norm abweichenden Zustand zu betrachten und die Symptome direkt zu bekämpfen und anschließend so weiter zu machen wie bisher.

Es geht darum, den Körper seine Arbeit machen zu lassen und ihn bestmöglich zu unterstützen, zum Beispiel mit Fasten, viel Schlaf oder ganz praktisch dem Kühlen eines geschwollenen Fußes. So weiter zu machen wie bisher und einfach Tabletten zu schlucken behindert hingegen die Genesung nachhaltig.

 

Fieber - ein gutes Beispiel

Das beste Beispiel ist an dieser Stelle Fieber. Fieber ist immer ein Zeichen dafür, dass das Immunsystem funktioniert. Der Körper heilt mit Fieber Entzündungen, indem er seine Temperatur nach oben fährt. Bakterien und Viren mögen das gar nicht. Jetzt mit einem Fiebersenker zu arbeiten ist außerordentlich kontraproduktiv, denn Fieber ist der Weg zur Heilung eines Infektes oder einer Entzündung. Was der Körper jetzt braucht, ist Ruhe, viel Schlaf und Flüssigkeit. Natürlich darf und sollte jeder Mensch eingreifen, wenn das Fieber an die 41 Grad herankommt. Hier gilt es das Schlimmste abzuwenden. Doch in unserer heutigen Zeit gönnen sich viele Menschen nicht mal 39 Grad Fieber und zwei Tage im Bett, weil sie glauben, dass sie schnellstmöglich wieder den Alltag wuppen müssen.

Fiebersenker senken das Fieber, doch heilen können sie nicht. Der Heilungsprozess wird durch das Eingreifen des Medikaments massiv gestört und macht den Organismus nun sehr viel anfälliger für weitere Infektionen und Entzündungen. Auf diese Weise wird das Milieu geschwächt und angreifbar. Die Logik dahinter ist, Krankheit zu vermeiden – also aus Sicht der Pathogenese betrachtet: Warum geht es dem Menschen schlecht? Weil er Fieber hat. Also muss das Fieber weg. Doch das ist zu kurz gedacht. Warum hat der Mensch Fieber? Weil der Organismus etwas in Balance bringen muss, um Gesundheit zu erhalten. Was hat den Menschen in Dysbalance gebracht? Hier bieten sich wertvolle Chancen für den Erkrankten, den Status quo des eigenen Lebens zu überprüfen und ggf. etwas zu ändern. Mit dem medikamentösen Senken des Fiebers wird zwar das Fieber gesenkt, doch mittelfristig wird dadurch potenziell mehr Krankheit produziert, die wiederum aus dem Blickwinkel der Pathogenese bekämpft werden muss.

 

Gesundheit im Normbereich?

Die Pathogenese geht außerdem von Normwerten aus, das bedeutet, dass ein Organismus als gesund gilt, wenn er im Normbereich ist, also normalgewichtig, normale Blutwerte, normale Cholesterinwerte, normaler Puls usw. Ob das subjektiv für ein Individuum stimmig ist, interessiert hier nicht. Wenn ein Mensch zum Beispiel in einer Lebensphase außergewöhnlichem Stress ausgesetzt ist, vielleicht ein Familienmitglied pflegt oder plötzlich arbeitslos geworden ist, dann können Werte zwar im Normbereich liegen, doch der Organismus geht zunehmend an die körpereigenen Reserven und braucht sie auf. Ein stark gestresster Organismus braucht mehr Nährstoffe als gewöhnlich, um mittelfristig größeren Schaden abzuwenden. Diese sollte man ihm unbeachtet der Normwerte zufügen. Das gilt auch andersherum.

In der Salutogenese kann ein Mensch von der Norm abweichen und ein für sich außerordentlich stimmiges und gesundes Leben führen. Es gibt Menschen, die Leben beispielsweise mit körperlichen Beeinträchtigungen ein sehr zufriedenes und gelungenes Leben bis ins hohe Alter.

 

Gesundheit als subjektiv empfundenes Lebensgefühl

Die Salutogenese betrachtet den Gesundheitszustand eines Lebewesens also nicht nur im Sinne der körperlichen Unversehrtheit, sondern auch das individuelle Lebensgefühl, mit dem ein Mensch das eigene Leben erlebt. Für das eigene Wohlempfinden und eine stabile Gesundheit ist es überaus wichtig, dass ein Mensch sich sicher fühlt, sich persönlich entwickeln kann, Freude empfindet, sinnerfüllt ist, Lust am Leben hat und ein für sich individuelles Maß an Lebensqualität erschafft.

Ich würde sagen, das alles kommt sogar an erster Stelle. Ein körperlich intakter Mensch mit Blutwerten im Normbereich kann eine sehr unglückliche Seele beheimaten. Ein Mensch, der einer Arbeit nachgeht, die für ihn überhaupt keinen Sinn mehr macht, also keine Bedeutung hat, außer dem Finanziellen, kann körperlich sehr fit sein. Aber ist er auch gesund im Sinne der Salutogenese? Nein, denn wenn ein Mensch über Jahre hinweg gegen seine Natur lebt – also z.B. im falschen Job ist oder in ungesunden Beziehungen lebt, dann kann das in der ersten Lebenshälfte von außen betrachtet relativ unbemerkt ablaufen, bis es dann in der zweiten Lebenshälfte irgendwann kippt und nun auch gesundheitliche Probleme entstehen, die nicht mehr ignoriert oder verdrängt werden können.

Gesundheit bedeutet also nicht einfach nur die Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit ist ein Lebensgefühl. Und es ist die Kunst, dieses gesunde Lebensgefühl ein Leben lang aufrecht zu erhalten – auch in Krankheitsphasen.

 

Eine kleine Aufgabe für dich:

Wenn du das nächste Mal ein körperliches Symptom bemerkst, sagen wir Kopfschmerzen oder eine Nackenverspannung, vielleicht einen Schnupfen, dann nimm dir bitte einmal 10 Minuten Zeit darüber nachzudenken, wie du die letzten Tage für dich erlebt hast. Warst du beispielsweise überwiegend glücklich, energetisch, inspiriert oder eher gestresst, genervt oder unmotiviert?

Solltest du dich eher an negative Gefühle oder Ereignisse erinnern, dann überlege, ob du deine Genesung unterstützen kannst, indem du einen Faktor, der zum Stress beigetragen hat, für dich direkt verändern kannst. Vielleicht ist es ein Gespräch, das du mit deinem Partner führen solltest, weil du mehr Entlastung im Alltag brauchst? Oder womöglich ist es eine destruktive Beziehung zu einem Kollegen oder einem Freund, von dem du dich ab jetzt etwas mehr abgrenzen darfst?

Vielleicht hast du einmal zu oft Ja zu etwas gesagt, obwohl du hättest Nein sagen sollen? Oder du hast auch einfach ein paar Tage zu viel Süßes gegessen oder Alkohol getrunken? Egal was es ist, ich möchte dich dazu inspirieren, auch kleine, vermeintlich harmlose Symptome als Informationsquelle für den Status quo deines Lebens heranzuziehen.

 

Du kannst in solchen Momenten so viel über dich und dein Leben lernen. Deine Seele und dein Körper sprechen mit dir die ganze Zeit. Du weißt eigentlich sehr genau, wann du nicht deinen Weg gehst, wann du nicht deine Wahrheit ausspricht, wann du nicht für dich einstehst, wann du nicht gut für dich sorgst.

 

Ich lade dich dazu ein, immer öfter hinzuhören und in Kontakt mit deiner inneren Stimme zu kommen, um deinem individuellen gesunden Lebensgefühl auf die Spur zu kommen. Denn, wie gesagt, Gesundheit bedeutet nicht einfach nur die Abwesenheit von Krankheit. Gesundheit ist ein sehr subjektives Lebensgefühl.


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